Treptower Sommerblumengarten

Die Welt der Blumen

Nach einer kurzen, unruhigen Nacht mit reichlich unergiebigem Schlaf beginne ich meinen Morgen an diesem Apriltag übernächtigt und etwas missmutig. Der Sonne hingegen ergeht es bereits deutlich besser. Schon strahlend lächelt sie auf die erwachenden Treptower Gefilde. Mir fehlt noch gänzlich ein solches Lächeln mit dem ich den Tag begrüßen könnte. Ich bin noch auf der Suche nach mir selbst und der Erweckung meiner Lebensgeister. Für den Erfolg dieser Suche fehlt noch etwas: Ein wenig körperliche Bewegung und ein heißer, aromatischer Kaffee.
Also schwinge ich mich kurzentschlossen, noch etwas hüftsteif, auf mein Fahrrad und setze mich in Richtung Plänterwald in Bewegung. Auf meinem Weg treffe ich auf das „Haus Zenner“. Die geschichtsträchtige Alt-Treptower Gaststätte, unmittelbar im Uferbereich der Spree gelegen, kann mir Abhilfe aus meiner koffeinfreien Misere bieten. Ausgestattet mit einem heißen Kaffee verlasse ich froher gelaunt die Lokalität. Ich schiebe mich, mein Fahrrad und den gefüllten Kaffeebecher in den nahe gelegenen „Treptower Sommerblumengarten“. Dieser wurde 1969 angelegt, gliedert sich dreiteilig in einen Heide- und Stauden- sowie Sommerblumengarten. Durch eine in den letzten Jahren nach den Originalplänen durchgeführten Neugestaltung erwachen die Gärten wieder in neuem Glanz. Mit seinen zahlreichen Bänken lädt er seine Besucher zum Verweilen ein. Dieser schöne Ort ist eine botanische Oase mit seinen vielen Beeten und seinen vielfarbig in prächtiger Blüte stehenden Blumen. Ein perfekter Platz zum Verweilen und um meinen Kaffee zu genießen und die gebrauchte Nacht abzustreifen, denke ich bei mir.
Wenn eine Oase atmosphärisch ein Ort der Ruhe und Einkehr ist, dann fällt die Begrüßung im Blumengarten allerdings eher harsch, fast abweisend aus. Empfangen werde ich von überlauter, kratzbürstig tönender Musik, die donnernd, dröhnend aus einem scheinbar herrenlosen Baustellenradio schallt. Was für ein disharmonischer Kontrast. Während die herrlich blühenden Blumen die Augen liebevoll verwöhnen, werden die Ohren von der missklingenden Musik unerbittlich belästigt. Dessen ungeachtet habe ich mittlerweile unter einem herrschaftlich großen Baum Platz auf einer Bank gefunden. Mein Kaffee schmeckt kräftig und vollmundig, sorgt für eine erste wohltuende Belebung.
Das lästig bellende Radio ist doch nicht so allein und unbeachtet wie es zuvor schien. Dessen Herren sind vier grünpflegende Berufsgenossen, die in den Blumenbeeten bereits bei ihrem gärtnerischen Tagwerk sind. Womöglich verleiht ihnen die Musik das Gefühl einer kurzweiligen Arbeit – wer weiß. So beobachtend sorgt bei mir jeder weitere Kaffeeschluck für mehr Vitalität und zunehmende Entspannung. Wenn die doch nur ihr Radio vergessen hätten, denke ich trotzdem noch etwas genervt, während ich weiter die emsigen Naturverbesserer mustere. Sehr sorgsam und akribisch wirken sie bei ihrem Tun. Fast liebevoll wird jätend das Unkraut verbannt, der Vergänglichkeit zugeneigte Blüten geschnitten und allerlei Korrekturen an der Beetkultur vollzogen. Scheinbar der Wirklichkeit entrückt, gehen die fleißigen Gartenbauer ihrem Wirken nach und sind gleichsam wie in ein floristisches Gebet vertieft. Die entfaltende Wirkung des Kaffees, die Beobachtung der inbrünstig tätigen Gärtner entfachen in mir ein kraftvolles Gefühl von Entspannung und Freude. Mein Blick öffnet sich für die bunte Blumenvielfalt, die in der morgendlichen Sonne liegend, mit ihren Farben um die Wette zu eifern scheinen. Beinahe alle Farben des Regenbogens sind vertreten. Die Tulpen dominieren den Reigen und übernehmen in ihrer Vielzahl die erste farbenfestliche Strophe in lila, rot und gelb und weiß. Narzissen, Stiefmütterchen und Hyazinthen geben ihnen ein Stelldichein und vervollkommnen den floralen Kanon.
Das lärmende Radio ist längst untergegangen im so blumig klingenden Hohen C der Blüten. Kein Missklang aus der eigenen inneren oder der äußeren Welt vermag den empfänglichen Besucher restlos davon abzuhalten, den Blumengarten als das zu erleben, was er ist und bietet: Eine wunderbar anmutende Welt der Blumen, die sich mit ihrem Blütenensemble verzückend und fließend in das gartenarchitektonische Panorama des Treptower Parks einschmiegt. Der Garten streichelt mit seiner bunt blühenden Farbigkeit, mit seinen vielfältigen Blumendüften und seiner ansehnlichen gärtnerischen Komposition alle Sinne jeder offenen Seele. Er schafft durch ein Eintauchen in die Natur mit deren Welt der Blumen und Farben einen tiefen Moment des kindlichen Staunens. In der so herrlich ausgelösten Selbst- und Weltvergessenheit können sich Ruhe, Energie und optimistische Lebensfreude neu versammeln. Von den Eindrücken so verwöhnt mag der Tag dann kommen, wie er kommen möge.

von L.H.

Wegbeschreibung
Verkehrsanbindung: Bus Nr. 165, 166, 265; Haltestelle „Alt-Treptow“