Bratwurstimbiss Hahnfeld am S-Bahnhof Warschauer Straße, der die Zeiten (nicht) überdauert hat

Hungrige Leute in Berlin X - Trauerrede auf einen Wendeverlierer

Ich bitte darum, das hier alles nicht so bierernst zu nehmen. Im nachfolgenden Text geht es nicht nur um solche kulinarische Highlights wie Pizza Funghi, sondern unter anderem auch um Bauarbeiter ohne Angst vor cholesterinreicher Ernährung, um kleine, dicke, braungebrutzelte Wendeverlierer, nicht sehr vertrauenserweckende Gestalten im Park, Linsensuppenjunkies, schlechtgelaunte Verkäufer, die Latte Macciatomisere in Berlin, Kartoffelpuffer, die entgegen aller Vermutungen doch Kartoffeln enthielten und darum, wie die Protagonistin hoffte, mit guten Taten ihre Schutzengel günstig zu stimmen. Die kulinarische Reise hat 10 Etappen, beginnt bei der alten Freibank an der Landsberger und endet an der Wahrschauer Straße. Es dreht sich alles nur um das Thema Nummer 1, nämlich das Essen in Berlin.
Eingangs möchte ich einem Wendeverlierer nachtrauern, nämlich der Bratwurst. Vor dem Mauerfall wurden in Ostberlin an jeder Ecke die kleinen, dicken, fetttriefenden aber sehr wohlschmeckenden Würste gebrutzelt. Der appetitliche Geruch ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Zusammen mit der Bockwurst bildeten sie seit vielen Jahrzehnten einen Grundpfeiler der Ernährung des echten Berliners. Jedenfalls waren sie früher immer meine Rettung, weil sie ja auch enorm billig waren. Der Preis betrug zu DDR Zeiten weniger als 1 DDR Mark, und das hat man meist immer noch gehabt.
Der Dönerinvasion nach der Wende konnte die Bratwurst nicht standhalten und die Imbisse mussten aufgeben. Außerdem schmecken die Würste, die ab und zu noch irgendwo angeboten werden, einfach nicht mehr so gut wie sonst. Wahrscheinlich sind die Inhaltsstoffe nicht mehr dieselben und es wird kräftig in den Chemiebaukasten gegriffen.
Am S-Bahnhof Warschauer Straße existiert noch eine Bratwurstbude aus DDR-Zeiten. Es handelt sich um den Kultimbiß Hahnfeld, den es schon seit 1975 hier gibt. Früher war ich dort Stammgast. Der Bude war gleich rechts mit im Eingangsgebäude drin. Im Zuge der Bauarbeiten musste sie eine ziemliche Ecke weiter ziehen und befindet sich jetzt etwas versteckt auf der linken Seite neben dem Bahnhof. Man muss ein Weilchen suchen. Ich habe schon gedacht, es gäbe sie gar nicht mehr, bis mir jemand einen Hinweis gab. Es sind wohl auch noch die alten Betreiber.
Damals in den Achzigern hat ein Kollege von mir, der mal in der Osthafenmühle dort in der Nähe gearbeitet hat und jeden Tag am S-Bahnhof Warschauer umstieg, die Wurst dort als die beste Bratwurst in ganz Berlin bezeichnet. Es gab auch immer herrlich frisches Weißbrot dazu. Der Fleischer, der diese besonderen Bratwürste ohne Darm hergestellt hat und der Bäcker, der dieses lockere Weißbrot gebacken hat, existieren wohl längst nicht mehr. Heute werden andere Wurstsorten angeboten, die aber auch nicht schlecht schmecken.
PS Leute, traurige Nachrichten Curry Berlin ist verschwunden. Die anderen Freßbuden von der Warschauer Brücke sind auch nicht mehr da, wegen der Bauarbeiten. Stand 11.06.2018
Anmerkung:
Heute erzählte mir der Fleischermeister Jörg Litgau von der Fleischerei Gürtelstraße 17, der die Imbissbude mit Bratwürsten beliefert hat, dass Herr Hahnfeld vor 5 Jahren in Rente gegangen ist. Er verkaufte den Imbiss an jemand anderen. Seinem Nachfolger wurde vor einem Jahr von der Bahn gekündigt. Stand 27.07.018
Fazit:
Beim Durchlesen der „Hungrige Leute in Berlin“ Serie fällt auf, dass die Berichterstatterin im Laufe der Zeit einen kulinarischen sowie sozialen Aufstieg (Scherz) vollzogen zu haben scheint. Erst reiht man sich zu DDR Zeiten in die Schlange vor der Freibank in der Leninallee ein, fischt in der Betriebskantine Kakerlaken aus der Suppe und ist froh wenn man ab und zu noch 85 Pfennnige hat für eine heiße Wurst vom Imbiß, die im übrigen die Grundlage ihrer Ernährung bildete. Dann steht man im Kiezcafe am Herd und bekocht Hungrige mit abgelaufenen Lebensmitteln. Später wird eine Entwicklung zum Gourmet vollzogen, man findet Geschmack an teurem Meeresfrüchtesalat, mokiert sich über angeblich fehlende Kartoffeln im Kartoffelpuffer und regt sich über zu dünnen Latte auf. Ganz zum Schluß schätzt man Biobrötchen und Sauerrahmbutter aus dem Feinkostladen und sieht sich sogar noch in die Lage versetzt, hungrigen Leuten aus anderen Nationen hilfreich unter die Arme zu greifen.

von Tanja

Wegbeschreibung
Durchfuttern in Berlin
Für Fahrradfahrer mit Zeit
Die kulinarische Reise beginnt bei Nr. 1 an der ehemaligen Freibank Landsberger Allee Ecke Hausburgstraße (Erinnerung an hungrigere und schlankere Zeiten), dann wird die Landsberger links in Richtung SEZ runter gefahren, es wird links in die Petersburger eingebogen und auf der anderen Straßenseite befindet sich in der Petersburger 92 die Nr. 2 das Kiezcafe (als es noch in der Wühlischstraße war, habe ich dort 2001 gekocht). Dann geht es geradeaus über die Frankfurter, die Warschauer Straße runter bis zu Nr. 3 dem Bäcker in der Rewekaufhalle (der Latte ist hier noch schmackhaft und bezahlbar), man überquert die Warschauer Straße, geht auf der anderen Seite die Revaler runter, biegt rechts in die Modersohnstraße, überquert die Modersohnbrücke und dort ist Nr. 4 die Fleischerei Niemann (Bockwurst 1,20 €). Danach biegt man rechts in die Stralauer ein und überquert links die Oberbaumbrücke. Dann geht es die Skalitzer Straße geradeaus bis zum S- Bahnhof Schlesisches Tor zur Nr. 5 dem Pizzabäcker und dem Linsensuppenimbiss. Dann geht es geradeaus die Skalitzer runter bis zum Kotti, dort wird links abgebogen und den Kottbuser Damm bis zum Hermannplatz zu Nr. 6 (türkische Pasten und Deutsche Hausmannskost) hochgefahren. Bei Karstadt (Kartoffelpuffer) wird rechts in die Hasenheide eingebogen. Es geht geradeaus bis zum Mehringdamm am Südstern vorbei. Dort wird die Straße überquert. Von der anderen Straßenseite geht es rechts in die Yorkstraße ab. Dort befindet sich in der Yorckstraße 76 die Nr. 7, der Feinkostladen Landkost (Superbrötchen). Dann geht es wieder zum Mehringdamm zurück und man biegt links in Richtung Kreuzberg ein. Am Gitschiner Ufer wird rechts eingebogen und in Richtung Oberbaumbrücke gefahren. Vor dem Biosupermarkt auf der linken Seite der Skalitzer ist Station Nr. 8 (hungrige Straßenzeitungsverkäuferin). Dann geht es über die Oberbaumbrücke die Warschauer Straße runter bis zum Narvagelände, das sich rechterhand der Straße von der Kreuzung Stralauer Ecke Warschauer bis zum S- Bahnhof Warschauer Straße erstreckt. Dort ist Station Nr. 9 (ehemalige Narvakantine). Ein Stückchen weiter die Warschauer hoch befindet sich am S- Bahnhof Station Nr. 10 (dort war bis vor kurzem der Bratwurstimbiss Hahnfeld). Endstation