Café Sibylle

Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee, ein Cafe mit Geschichte

Das Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee 72 in Berlin-Friedrichshain, benannt nach der 1962 in Berlin gegründeten Mode-Zeitschrift Sibylle, deren Gründerin, die Kostümbildnerin, Malerin und Modejournalistin Sibylle Boden-Gerstner (1920-2016) ihren Namen gab, war der Anlaufpunkt nach einem anstrengenden Arbeitstag, der mich von meiner ehemaligen Firma in der Andreasstrasse, über die Karl-Marx-Allee, in Richtung Warschauer Strasse, nach Hause führte.

Das Café eröffnete 1953, nach seinem Warschauer Vorbild, als Milchtrinkhalle. Anfang der 1960er Jahre wurde es zu einer Milchbar, in der man Milchgetränke aller Art, zum Beispiel: Frischmilch, Joghurt, Kakao Milch, Schokolade, Buttermilch und auch Fruchtsaft bestellen konnte, umgewandelt.

Hier traf oder verabredete ich mich mit Kollegen oder Freunden nach der Arbeit, zum Plausch bei Café und Kuchen oder zu einem Mixgetränk. Die gemütliche Atmosphäre ließ meine Alltagssorgen in den Hintergrund treten. Wir besprachen zum Beispiel in der Zeit vor der Wende, wer was besorgen oder wer jemanden kennt, der es beschaffen kann, das man zu diesem Zeitpunkt gerade brauchte.

Da ich eine so genannte Ausbauwohnung bekommen hatte, hieß es für mich, nach der regulären Arbeitszeit (9,5 Stunden mit Pausen), in Eigeninitiative, eine zugewiesene, herunter gekommene Wohnung in bescheidenem Maße zu modernisieren. Die Schicht nach der Arbeit, in der zukünftigen Unterkunft, dauerte oftmals bis zur Geisterstunde, so dass sich meine damalige Freundin Sorgen machte, wo ich denn geblieben sei. Kurz per Telefon mal nachfragen war nicht möglich, da die wenigsten Haushalte in der DDR ein Telefon ihr eigen nannten. Trotzdem hatte ich Glück - mein zukünftiges Zuhause in einem Altbau besaß eine Innentoilette, was zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war - ca. 80 cm breit und 2 m lang.
Also brauchte ich nur noch einiges an Baumaterial, z.B. Alu.- und Kupferkabel, Steckdosen und Schalter, Fenster, Wasch - und Toilettenbecken, Kalk, Zement und diverses anderes Material, was es aber in den Geschäften selten zu kaufen gab.
Um nur ein Beispiel zu nennen, schaute ich regelmäßig nach der Arbeit, bei der Baustoffversorgung (eine Art Baumarkt in der Nähe meiner Wohnung), vorbei - mit den heutigen Märkten überhaupt nicht zu vergleichen.
Es war eher eine Baumateriallotterie, bei der man Glück hatte, wenn man das benötigte Material überhaupt bekam.

Also, ich brauchte ein neues Küchenfenster mit Rahmen, da das vorhandene eine einfache Verglasung hatte. Deshalb fragte ich wirklich jeden Tag nach der Arbeit, und das ca. drei geschlagene Monate lang in der Baustoffversorgung (ha ha ha) nach, ob denn ein passendes Fenster vorhanden sei. Die Antwort lautete wie immer, haben wir nicht. Verzweifelt verließ ich wieder einmal diesen Ort, in der Hoffnung, bei meinen nächsten Besuch mehr Glück zu haben. Da mir aber die Zeit für die Fertigstellung der Wohnung im Nacken saß, denn der Winter näherte sich mit großen Schritten, beschloss ich beim nächsten Mal ein Fenster zu kaufen, egal welcher Größe. Dann muss ich eben die Mauerwerksöffnung vergrößern oder verkleinern, ging es mir durch den Kopf.
Gesagt getan, ich machte mich also wieder einmal auf den Weg zur Baustoffversorgung und stellte wiederholt meine Standardfrage: "Haben Sie ein Fenster mit den passenden Maßen"? Die Antwort des Verkäufers: "Ja, haben wir". Ich traute meinen Ohren nicht. Sofort schlug ich zu, kaufte das Objekt meiner Begierde und sicherte es, indem ich das ca. 185 cm mal 115 cm große Fenster auf meinen Rücken nach Hause trug. Ich versichere, es war weder handlich noch leicht.
Nach der Wende ging es darum, was die Zukunft bringt, ob man den Job und die Wohnung behält. Die zuletzt von mir sanierte Wohnung, ist seit 1984 mein Zuhause, doch die ursprünglichen Fragen haben bis heute Bestand.
In den 1990er und 2000er Jahren erfuhr das Café Sibylle viele Wandlungen, zwar blieb der Grundgedanke eines Cafés erhalten, doch war das Konzept nicht tragfähig, daher entschloss man sich, weitere Einnahmequellen zu generieren. Es hatten deshalb diverse künstlerische Veranstaltungen und Ausstellungen ihren festen Platz in diesen Räumlichkeiten. Leider hat dies alles nichts genutzt. Am 4. April 2018 musste das Traditionshaus wegen Insolvenz schließen.

von Peter PF-1956
Ab 1980 Wohnhaft im Bezirk Friedrichshain und seit März 2017 im Projekt Lieblingsorte tätig.

Wegbeschreibung
Karl-Marx-Allee 72
10243 Berlin–Friedrichshain
U-Bahnhof Strausberger Platz, stadtauswärts, rechte Seite, ca. 200 m